„Dank der Cardisiographie können Patienten mit auffälligem Befund zügig einer weiteren Diagnostik zugeführt und zielgerichtet behandeln werden“
Über einen ärztlichen Kollegen wurde ich vor rund drei Jahren auf die Cardisiographie aufmerksam. Dass die Vektorkardiographie, die jeder Arzt aus dem Studium kennt, endlich ganz einfach angewendet werden kann, hat mich begeistert. Die dreidimensionale Ansicht der elektrischen Aktivität des Herzens ermöglicht Ärzten einen Lupeneffekt: Kardiologische Auffälligkeiten lassen sich damit viel früher erkennen – Jahre bevor sich Symptome zeigen würden. Patienten mit auffälligem Befund können wir dadurch zügig einer weiteren Diagnostik zuführen und zielgerichtet behandeln.
Aufgrund der hochpräzisen Ergebnisse haben wir das herkömmliche EKG in meiner Praxis in Hamburg und Hannover 2022 durch die Cardisiographie ersetzt. Zum besseren Verständnis: Wenn es um die Früherkennung einer KHK geht – der häufigsten Herzinfarkt-Ursache –, hat ein Ruhe-EKG bei symptomfreien Patienten eine Trefferquote von etwa 25 Prozent, ein Belastungs-EKG bei stabiler KHK nur maximal 50 bis 60 Prozent. Da können Sie als Arzt fast genauso gut würfeln. Das ist für mich keine moderne Kardiologie. Ein anderes Beispiel: Bei einem Herz-Ultraschall kann man bei rund 30 Prozent der Patienten nur sehr eingeschränkt etwas erkennen – was ist das für ein Screening-Tool? Die Patienten wiederum verlassen sich darauf.
100 Prozent Sicherheit lassen sich mit keiner Diagnostik erreichen, egal, bei welcher Erkrankung. 100 Prozent diagnostische Genauigkeit gibt es in der Medizin nicht – die haben wir nur bei Geburt und Tod. Eine Genauigkeit von annähernd 95 Prozent, die wir mit der Cardisiographie im Rahmen der KHK-Diagnostik erzielen, das ist top, ein riesiger Quantensprung.
Bisher haben wir rund 5.500 Cardisiographien an verschiedenen Standorten durchgeführt. Regelmäßig erleben wir Zufallsbefunde, die schnell eine weiterführende Diagnostik und Therapie erfordern. Diese Patienten nehmen wir dann an die Hand. Gleichzeitig können wir vielen verunsicherten Frauen und Männern mit vermeintlichen Herzschmerzen mit Hilfe dieser Untersuchung Sorgen und Ängste nehmen. Für die vierminütige Messung braucht es keine sechs Monate Wartezeit – Termine sind meist innerhalb weniger Tage möglich. Häufig können wir schnell Entwarnung geben und eine Herzerkrankung ist nicht Ursache der Beschwerden. Die für alle leicht nachzuvollziehende Auswertung mit Grafiken in Ampelfarben gibt den Patienten zusätzlich Gewissheit. Wenn das Ergebnis grün ist, besteht keine Durchblutungsstörung im Herzen.
Was mich als Arzt ärgert: dass die Cardisiographie von den meisten gesetzlichen Krankenkassen nach wie vor nicht übernommen wird, obwohl sie hochpräzise, risikofrei und günstig ist. Der Bundestag berät zwar über den Gesetzentwurf zum Gesundes-Herz-Gesetz, innovative Untersuchungen werden darin aber vermutlich nicht enthalten sein. Andere Länder machen das viel besser. Da brauchen wir uns nicht wundern, dass Deutschland in Sachen Präventionsmedizin eher zu den Schlusslichtern in Europa gehört.
Deutschland ist krankheits-, nicht gesundheitsorientiert, wir haben Krankheitskassen statt Gesundheitskassen. An Innovationen in der Diagnostik sowie Ärzten, die von den Vorteilen der Untersuchungen überzeugt sind, mangelt es kaum. Das Problem ist die Bürokratie, sind die Hürden in der Politik und bei den Krankenkassen. Sinnvolle, moderne Diagnostik wird, so habe ich manchmal das Gefühl, pauschal abgelehnt, weil es noch keine Langzeitstudien gibt. Als Arzt würde ich mir wünschen, dass bei Krankenkassen Ärzte evidenzbasiert entscheiden, welche Untersuchungen sinnvoll sind und übernommen werden sollten, nicht Juristen oder BWLer.
Frauen und Männer mit Verdacht auf KHK werden deshalb nach wie vor häufig zum Herzkatheter geschickt statt zunächst zur Cardisiographie. Da rede ich mir für meine Patienten seit Jahren den Mund fusselig – ohne Erfolg. Krankenkassen zahlen lieber ein Vielfaches für eine Herzkatheteruntersuchung, die nachweislich nur in circa 30 bis 40 Prozent nötig gewesen wäre – eine Geldverbrennerei sondergleichen. Außerdem ist die Herzkatheteruntersuchung durchaus risikobehaftet. Ein Teil der Patienten erleidet im Nachgang zum Beispiel einen Schlaganfall etc. Die vermeidbare Therapie im Nachgang kostet die Kassen unendlich viel Geld und Patienten und Angehörige haben dadurch enorme seelische, körperliche und häufig auch finanzielle Probleme.
Die Cardisiographie ist ein verlässliches Tool für die Früherkennung von Herzerkrankungen. Uns Ärzten erleichtert sie den Alltag, Patienten verschafft sie schnell und ohne Risiko Gewissheit über die Herzgesundheit.“
PD Dr. med. Henning Steen
Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, Oberarzt für Kardiale Bildgebung der Universität Heidelberg, Privatärztliche Kardio MRT Praxis Hamburg und Hannover, www.herz-mrt-hamburg.de
November 2024